Zwei Menschen befüllen eine Gorillas-Tasche (Pressebild)

DANKE FÜR IHRE BESTELLUNG

Einkauf war gestern – heute wird geliefert

Start-Ups wie Gorillas, Flink oder Gurkerl schicken sich an, das Einkaufen überflüssig zu machen. Kann das gelingen?

BEITRAG VON

Teambild Manuel Saxl
Manuel Saxl
Strategist

Die Gorillas sind los – und sie fahren Fahrrad. Seit mehr als einem Jahr nun flitzen schwarz gekleidete Fahrradkuriere durch ausgewählte deutsche Innenstädte. Auf ihrem Rücken schwarze Boxen. Darin: Supermarkteinkäufe. Mit im Gepäck: Probleme, ein neues Geschäftsmodell und viel Geld.

 

335 Millionen Dollar sammelte Gorillas bisher von Investoren ein, eine noch größere Finanzierungsrunde soll anstehen. In 36 europäischen Städten ist man aktiv. Maximal 10 Minuten sollen vom Eingang der Kundenbestellung bis zur Zustellung der Waren vergehen. Und das für eine Liefergebühr von 1,80 Euro. Die Zahlen lesen sich beeindruckend.

 

Dabei wurde Gorillas erst im Jahr 2020, von Kagan Sümer, in Berlin gegründet. Innerhalb eines Jahres stieg die Bewertung des Start-Up, von null auf mehr als eine Milliarde Euro. So schnell wurde noch kein deutsches Start-Up zum Einhorn. Das hat Gründe.

 

Denn das Berliner Start-Up verspricht nicht weniger, als die Art wie wir einkaufen, zu revolutionieren. Damit das funktioniert, braucht es viele kleine über eine Stadt verteilte Warenlager. Der Liefer-Radius darf dabei nicht mehr als 2 Kilometer betragen. Sonst kann das Versprechen von der Zehn-Minuten-Lieferung nicht eingehalten werden. Geliefert wird alles: Vom kleinen Item wie der Zahnbürste oder der vergessenen Milch, bis hin zum Großeinkauf. Bestellt wird bequem und einfach via App.

 

Sobald die Bestellung im nächstgelegenen Warenlager eingegangen ist, machen sich die „Picker“ an die Arbeit. Sie sind dafür zuständig, die Einkaufstüten zu packen. Dafür laufen sie die Warenregale auf und ab. Die sind so vorsortiert, dass die Bestseller auf Augenhöhe und nahe beieinander liegen. Die Fahrer warten in der Zwischenzeit auf die Einkaufstüten und liefern diese innert kürzester Zeit an den Kunden.

 

 

ALLES FÜR DEN GEWINNER

Es ist ein Geschäftsmodell, geschaffen für eine Ausnahmesituation wie jene der Coronapandemie.

 

In einer Zeit, in der der Supermarkt oder der Weg dorthin, zur potenziellen Infektionsgefahr werden. Wo man sich nicht mit Anderen über den gebührenden Mindestabstand an der Kasse zoffen will – ist es eine sichere, schnelle und vor allem bequeme Einkaufsmöglichkeit.

 

Aber auch für klassische E-Commerce-Käufer, die analoges Einkaufen als Qual empfinden, dürfte der Service eine willkommene Alternative sein. Die Art wie wir einkaufen, könnte sich dadurch nachhaltig verändern. Die wöchentlichen Großeinkäufe und die damit einhergehende Lagerhaltung, gehören damit der Vergangenheit an.

 

Nicht nur das Berliner Start-Up Gorillas will von dieser Revolution profitieren. Flink, ein anderes deutsches Start-Up, kämpft in Deutschland mit Gorillas um Marktanteile.

 

Um sich die meisten Marktanteile zu sichern, braucht es Geld – und davon viel. Auch wenn Experten davon ausgehen, dass es in großen Städten in Zukunft zwei bis drei Lieferdienste geben wird, gibt es aktuell viele Parallelen zu den ruinösen Auseinandersetzungen der Restaurant-Lieferdienste. Die viel Geld für wenig Marktanteile verbrannten.

 

Wie so häufig bei digitalen Geschäftsmodellen, scheint auch der Einkaufs-Zustellservice ein „The winner takes it all“-Marktumfeld zu sein. Jener Wettbewerber, der sich zuerst etabliert, kann den Markt bearbeiten und abschöpfen. Der Rest wird an den Rand gedrängt. Doch wird damit überhaupt Geld verdient – und wie nachhaltig ist das Geschäftsmodell der neuen Blitz-Zusteller?

 

Die Recherche hierzu gestaltet sich schwierig. Offizielle Zahlen etwa von Gorillas gibt es nicht. Das Manager Magazin erkundigte sich kürzlich bei Insidern. Diese schätzen, dass Gorillas pro Bestellung 1,50 Euro dazuzahlen muss. Zustellexperte und Delivery-Hero Chef Niklas Östberg, rechnete in einem Social Media Beitrag wirksam vor, dass bei 400.000 Bestellungen am Tag, schon allein der kleine Fehlbetrag eines Euros, einen Jahresfehlbetrag von 146 Millionen Euro bedeuten würde.

 

Außerdem müssten Kunden Bestellungen im Wert von 30 Euro bei Gorillas aufgeben, damit Gewinn erwirtschaftet werden kann.

 

 

PROFITABILITÄT UND FAHRER BEREITEN KOPFZERBRECHEN

Das wird mit den vergessenen Eiern, dem hinten gebliebenen Kilo Zucker oder der Zahnpasta nicht zu holen sein. Gorillas & Co. setzen darauf, dass die Menschen ihr Einkaufsverhalten grundlegend verändern, auch nach der Pandemie.

 

Weitere Einnahmen sollen über Herstellerkostenzuschüsse generiert werden. Unternehmen, die ihre Produkte über die Zustellservices vertrieben sehen wollen, bezahlen dafür, dass sie im Sortiment landen. Außerdem bietet die Platzierung der Produkte Einkommensmöglichkeiten. Wer eine bessere Platzierung in den Apps will, soll dafür bezahlen.

 

Nicht nur die zukünftige Profitabilität bereitet Kopfzerbrechen, Schwierigkeiten gibt es auch mit den Mitarbeitern. Obwohl man sich rühmt, sie anständig zu entlohnen: 10,50 Euro die Stunde – gibt es Probleme. In Deutschland schicken sich die Fahrer an, Betriebsräte zu gründen. Kürzlich kam es sogar zu einem Streik der Fahrradkuriere in Berlin. Aus Solidarität zu einem Kollegen, der entlassen wurde, weil er zu spät gekommen sein soll. Das Anstellungsverhältnis der Fahrer ist offensichtlich so gestaltet, dass das Unternehmen die höchstmögliche Flexibilität genießt. Die meisten sollen mit Einjahresverträgen, die eine sechsmonatige Probezeit beinhalten, ausgestattet sein. Sofortige Entlassungsmöglichkeit während der Probezeit inklusive.

 

Investoren stört das bisher nicht. Bei Gorillas steht, nach den im letzten Jahr eingesammelten 355 Millionen Dollar, eine neue Finanzierungsrunde an. Es soll um eine halbe Milliarde Dollar gehen.

 

Das neue Geschäftsmodell der Mikrostores und der Instant-Zustellung wird von den Investoren als zukunftsträchtig erachtet. Das zeigen die Zahlen, auch international. Der Pionier Gopuff aus den Vereinigten Staaten hat bei seiner Gründung 2,4 Milliarden Dollar eingesammelt. Getir aus der Türkei 470 Millionen und Picnic in den Niederlanden 350 Millionen Dollar. Und es gibt noch mehr Zustellservices. In den österreichischen Markt hat noch keines der genannten Unternehmen, seinen Fuß gesetzt.

 

 

GESETZ DES DSCHUNGELS

Dafür gibt es hier mit gurkerl.at ein tschechisches Unternehmen, das den Markt bearbeitet. In und rund um Wien werden Lebensmittel täglich von Montag bis Samstag von 7 bis 21 Uhr zugestellt. Der Mindestbestellwert liegt dabei bei 39 Euro. Die Zustellung wird bis Jahresende gratis sein. Danach wird sie 3,90 Euro kosten. Sofern der Bestellwert unter 69 Euro liegt. Gurkerl.at stellt die Waren innerhalb von 3 Stunden zu. Wem das zu langsam ist, der kann etwa beim Wiener Online-Supermarkt Alfies bestellen, an dem auch Coca-Cola-Österreich zu 20 Prozent beteiligt ist. Bei Alfies werden die Waren maximal nach einer Stunde zugestellt. Ab einem Bestellbetrag von 35 Euro ist die Lieferung kostenlos. Andernfalls werden 4,90 Euro Liefergebühr fällig.

 

Das ist bei weitem nicht so schnell wie etwa bei Gorillas oder Flink, dennoch schneller als bei den Alternativen klassischer Supermärkte. Die Lieferslots von Billa, Spar und Co. sind meist über mehrere Tage ausgebucht. Eine spontane Bestellung oder eine Zustellung der Waren am Bestelltag ist damit fast nicht möglich. Die Handelsriesen reagieren langsam. Rewe (Billa, Billa+, Penny) wird zwar in Deutschland Vertriebspartner von Flink – und Edeka arbeitet zukünftig mit dem holländischen Anbieter Picnic zusammen. Sie überlassen das hart umkämpfte Feld der Schnell-Lieferungen aber sonst fast zur Gänze den neuen Start-Ups.

 

Kein Wunder, es gilt das Gesetz des Dschungels in Europas Städten. Der Stärkere gewinnt. Auf den Großstadt-Dschungel und in Fahrrädern übersetzt: der schnellere gewinnt und verbrennt (zunächst einmal) viel Geld.

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